Marketing-Goldgrube: »Quantified Self«:
Wie viel Gramm »guter Butter« in einer Tasse Kaffee steigern kreatives Denken?
Eine ernstgemeinte Frage. Zumindest, wenn man sich in die weltweit wachsende Heerschar unter dem Feldzeichen namens »Quantified Self« eingereiht hat: Menschen, die ab und an auf Butter im Kaffee zwecks Steigerung ihres Einfallsreichtums schwören – vor allem aber rund um die Uhr jedes Quäntchen ihres Körpers und seiner Funktionen messen, analysieren und optimieren.
Auf Basis dieser personenbezogenen Daten fungiert The Quantified Self als Netzwerk von Anwendern und Anbietern. Nicht nur die Messwerte an sich werden aufgezeichnet, ausgetauscht und ausgewertet; die passenden Hard- und Softwarelösungen werden ebenso thematisiert. Wobei über das Ziel Einigkeit herrscht: Selbstoptimierung durch Selbsterkennung soll das bringen. Speziell in den Bereichen Gesundheit, Sport und Gewohnheiten.
Hippe Smartwatches bilden nur die Speerspitze dieser »Messenbewegung«, die sich langsam, aber sicher zu einem extrem lukrativen Zukunftsmarkt gemausert hat. Als vor zehn Jahren die Website quantifiedself.com und damit diese Philosophie ganz offiziell ins Leben gerufen wurde, empfahlen die Gründer Gary Wolf und Kevin Kelly doch tatsächlich noch – ähm, hüstel! – Excel-Tabellen.
Über diese graue Vorzeit digitaler Dokumentationsmöglichkeiten sind echte Quantified-Selfer natürlich längst hinaus: Ohne Smartwatch, Smartphone, Smart Sneakers, Tracking-Arm- und -Stirnband, Pulsmesser, W-LAN-Körperfett- sowie -Zutatenwaage, Kantinen-essen-Scanner-App, GPS-Inhalator und Tabletrechner fühlt sich der gemeine Self-Tracker nackt und bloß. Ginge es nach ihm, könnten gar nicht genug Wearables an seinem Körper pappen, um Leib und Leben zu überwachen. Schweiß? Ausscheidungen? Blutzucker und -sauerstoff? Schlafrhythmus? Herz- und Atemfrequenz? Gehirnleistung? Alles, alles, alles wird aufgezeichnet, bis ins letzte Bisschen. Ebenso werden Tagesroutinen wie E-Mail-, Handy- und Telefonnutzung oder die Häufigkeit von Meetings zu einem wahren Datentsunami aufgeschäumt, der anschließend mit der Community freiheraus geteilt wird. Datenschutz? Nein, danke! Und nicht zu vergessen die Klassiker: Gewicht, BMI und Kalorienzufuhr. Womit wir wieder bei der Buttermenge im Kaffee wären. Und bei der Herbert-Grönemeyer-Frage: Was soll das?
Nun, die Anwender beziehen aus der notorischen Selbstanalyse die Motivation, das Optimum aus ihrem Leben herauszuholen, topfit und leistungsstark zu werden oder zu bleiben. Im gleichen (natürlich pingelig analysierten) Atemzug messen sie nicht nur ihren Körper, sondern sich selbst mit anderen Mess-Enthusiasten. Hier spiegelt sich ein von unbedingtem Siegeswillen beseelter und durchaus berechtigter Wunsch nach Lebensqualität und Konkurrenzfähigkeit, der immer mehr Menschen erfasst – und den Quantified-Self-Megatrend zu einem zukunftsträchtigen Milliardenmarkt für weitsichtige Hard- und Softwarefirmen macht.
Nicht umsonst sponsern Microsoft, Intel und Philips die nächste Quantified-Self-Konferenz im Juni 2017 in Amsterdam. Und wer morgen noch als Technikanbieter von Bedeutung sein will, lässt sich tunlichst heute schon auf einem der 130 regelmäßigen »Meetups« weltweit blicken, bei denen diese »Mess-Diener« ihrem Körperkontrollkult huldigen.
Fürs Marketing öffnet sich damit eine wahre Goldgrube: Quantified-Selfer überlassen die persönliche Datenflut nur zu bereitwillig dem Messgeräteanbieter ihres Vertrauens, der aus dieser Zahlenlawine ein individuelles Bedarfsprofil erstellen und mitteilen kann – etwa: »Hey, um deine gewünschte Laufleistung zu erreichen, solltest du dir dringend andere Smart-Laufschuhe zulegen.« Das so gewonnene Vertrauensverhältnis bereitet den Boden für ein erfolgreiches Up-Selling; das Unternehmen muss nichts weiter tun, als den Laufschuh der Begierde ein paar Momente später als Sonderangebot zu offerieren. Schon klingelt die Kasse. Mal wieder.
In der Tat: Quantified Self eröffnet Umsatzchancen in einer Gigadimension, die auf den ersten Blick gar nicht erfasst werden kann. Wie zum Beweis für diese These präsentieren sich über 15.000 Gesundheits-Apps, die schon heute hierzulande allesamt ihre Anwender und Kunden finden – Tendenz: steigend. Da ist es keinesfalls vermessen, zu sagen: Wohl dem, der ab jetzt voll auf das Kundensegment Quantified Self setzt.